Sie interessieren sich für die Shoah aber kennen seinen Namen nicht?
Kann der Name Filip Müller Ihnen unbekannt sein?
Ich wünschte es wäre nicht so jedoch weiß ich wohl, dass dies oft der Fall ist. Ich weiß es, aber ich kann es kaum ertragen. So viele "Spezialisten der Shoah" habe ich gefragt ob sie Neuigkeiten von Filip Müller hätten. Aber immer die gleiche enttäuschende Antwort manchmal hörte ich sogar so was wie "Müller?,der ist doch tot oder ?" ohne etwa ein "Herr" oder "Filip". Nein Herr Filip Müller ist nicht tot. Alles was er erlebt hatte hat er für die Nachwelt festgehalten sich anschließend zurückgezogen und wünscht heute mit der Außenwelt keinen Kontakt mehr. Sicherlich, dieser Wunsch muss unbedingt akzeptiert und respektiert werden. Doch, dass seine Zeugenaussage in einer mir so allgemein erscheinenden Gleichgültigkeit verschwindet schockiert mich.
Filip Müller ist ein Ausnahmezeuge, der große Menschlichkeit bewiesen hat. Man muss es sagen, wiederholen, erklären. Die Vergessenheit, in die er geraten ist, ist inakzeptabel. Letztendlich, und das ist das Schlimmste, allein die "négationnistes" scheinen die Bedeutung der Aussagen dieses Mannes erkannt zu haben, und wollen uns weis machen, dass er ein "falscher Zeuge" ist, sowie wie sie schon zuvor die Überlebenden, die uns grundlegende Zeugenaussagen hinterlassen haben, bezeichnet haben.

Ihnen ist es zweifelsohne schon aufgefallen, dass diese Website Filip Müller gewidmet ist. Das ist natürlich kein Zufall. Er hätte ein gewöhnlicher Mann mit einem friedlichem Leben sein sollen. Er hätte seinen Kinder jeden Sonntag Geige vorgespielt ….aber anstatt dessen, wurde er gewaltsam in sein erwachsenes Leben gerissen, wurde er hilfloser Zeuge des Mords an seinem Vater in Auschwitz.
Die SS hat das Leben von 29.236, wie sie ihn nannten, zerstört. Filip Müller, ein tschechischer Jude, war gerade einmal 20 Jahre alt als er im April 1942 nach Auschwitz deportiert wird. Schon im Monat darauf wird er in das K I abgeschoben. Er wird von einem Krematorium ins andere gezwungen, vom KI bis hin zum KV. Drei ganze Jahre lang. Mehr als tausend Tage und tausend Nächte. Nach der Räumung Auschwitz, wird er schließlich im April 1945 aus einem Lager in der Nähe von Gusen befreit. Aber er war schon längst vor lauter Trauer und Entsetzten gestorben. Entsetzten über den Tod von Abertausenden, den er mit seinen eigen Augen mit ansehen musste, deren Köper er mit seinen eigenen Hände "manipulieren" musste.
Er hat akzeptiert sein Überleben für die Nachwelt, für uns, zu opfern. 1946, als er noch im Krankenhaus war, vertraute er das Erlebte seinem Freund Ota Kraus, der an einem Buch über Auschwitz und Birkenau mit Erich Kulka arbeitete, an. Filip Müller ist auch zum Prozess von Auschwitz in Frankfurt im Oktober 1964 gekommen um seine Zeugenaussage vor der gesamten Welt niederzulegen, genauso wie er vor die Kamera von Claude Landmann für den Film "Shoah" getreten ist. Aber vor allem hat er dieses Buch geschrieben. Tag und Nacht. Jahrelang. Ohne Unterlass und ohne etwas auszulassen. Um die Wahrheit bekannt zu machen, auch wenn unter dem Wiedererlebten leiden musste. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand wer oder was die Sonderkommandos wirklich waren, weil diejenigen, die eine solange Periode in Birkenau überlebt haben, Ausnahmen sind. Die Welt ist diesem Mann, der wie niemand anderes vom Zentrum der Gewalt und Vernichtung in dieser Art berichtet hat, viel schuldig. Noch dazu war es nicht einfach - in der direkten Nachkriegszeit - über das Geschehene zu reden, weil Überlebende der Sonderkommandos wie er oft als "Komplizen" und "Kollaborateure" der Vernichtung angesehen worden sind.

Ich habe das Bedürfnis diesen Text zu schreiben. Es ist seltsam, aber ich habe das Gefühl, dass mich etwas an diesen außergewöhnlich Mann bindet, auch wenn ich ihn noch nie getroffen habe und er mich ganz einfach nicht kennt. Wohlgemerkt, alle Überlebenden der Sonderkommandos, die die Kraft gefunden haben auszusagen, haben uns wesentliche Informationen hinterlassen. Natürlich war ich bestürzt und haben mich meine Gefühle überkommen als ich ihre Zeugenaussagen anhörte - dabei denke ich vor allem an Jacob Zylberberg und Yehoshua Rosenblum. Ohne jeden Zweifel haben auch sie, die die immense Courage haben und aussagen, beträchtliche Achtung verdient - sowie zum Beispiel Shlomo Dragon, und zukünftig das Lächeln von Shlomo Venezia. Es erstaunt mich immer wieder zu wissen, dass Henryk Mandelbaum in der Nähe von Auschwitz geblieben ist, und unaufhörlich umherreiste um die Wahrheit durch seine Zeugenaussage bekannt zu machen, deren Inhalt im totalen Kontrast mit seinem sanften Blick steht. Es ist ganz offensichtlich und endgültig für mich, dass diese Menschen - die ich nicht alle hier nennen kann- unseren uneingeschränkten Respekt verdienen. Aber es gibt auch eine humane Seite. Der Anteil der Affekte, deren genaue Herkunft wir nicht klar erkennen können. Eine oft unerklärbare Nähe zu einer gewissen Person, die man für eine andere Person nicht empfindet.
Wenn ich mit Filip Müller beschäftige, sehe ich einerseits die enorme historische Bedeutung seiner Zeugenaussage, anderseits meine mitmenschliche Empathie, was mich dieser Person sehr annähert. Sein Buch welches ich immer und immer wieder gelesen habe, seine Stimme von der Aufnahme von seiner Aussage in Frankfurt, sein Zeugnis in dem Film "Shoah"- jenseits der Informationen - all diese Elemente lassen mich eine Nähe und eine unbeschreibliche Verbundenheit mit diesem Mann, der beispielhafte Courage und Mut bewiesen hat, empfinden. Gibt es überhaupt noch Tage an denen ich nicht an ihn denke?
Meinen Informationen zufolge geht es ihm unter dem Gewicht seiner Erinnerung, die entsetzlicher nicht sein können, leidend jeden Tag schlechter. Mein Mitgefühl ist umso größer. Wie gerne würde ich ihn doch nur einmal treffen! Einfach nur ihm gegenüber sitzen, einen Augenblick teilen. Ohne Worte. Und vor allem ohne Fragen. Die beachtliche Ehre zu haben, ihm ein Lächeln zu schenken.

[mise en ligne : décembre 2009]